KULTURPOLITIK IM TESSIN - EINE STUDIE VON SÉBASTIEN PETER
Eine neue Studie von Sébastien Peter* – Cultural Policies in Ticino – für das Zurich Centre for Creative Economies der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) wurde im Januar 2024 veröffentlicht. Ziel dieser Studie ist es, den Sektor zu kartieren und die wichtigsten historischen Trends aufzuzeigen.
Auf halbem Weg zwischen der Deutschschweiz und der Lombardei gelegen, ist das Tessin der einzige Kanton der Schweiz, in dem Italienisch die einzige Amtssprache ist. Die Tessiner Kantonsverfassung beansprucht die historische Aufgabe, die italienische Kultur und Sprache auf Bundesebene zu vertreten. Damit wird die Kultur zu einem wichtigen politischen Thema, das in der Schweiz einzigartig ist und als Vektor für politische Legitimität und Anerkennung einer Identität mit komplexen historischen Hinterlassenschaften dient. Sie ermöglicht es auch, die Anwendung des Konzepts der "Soft Power" im Kontext einer spezifischen Sprachregion und lokalen politischen Situation, nämlich der einer sprachlichen und kulturellen Minderheit, zu verstehen und ihre Entwicklung im Laufe der kantonalen Geschichte zu verfolgen.
Zur Zeit seiner Gründung im Jahr 1803 war der Kanton Tessin mit erheblichen Spannungen konfrontiert, die durch seinen Status als arme, zersplitterte und periphere Region verstärkt wurden. Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts lässt sich auf städtischer Ebene eine echte Strategie im kulturellen Bereich beobachten, mit Bemühungen um den Aufbau einer lokalen Identität und einer wettbewerbsfähigen Positionierung in Bezug auf Tourismus und Wirtschaft. In dieser Zeit war das Tessin den Fliehkräften ausgesetzt. Die Spannungen mit der Deutschschweiz und das Aufkommen des Faschismus in Italien führten zur Definition eines Interventionsrahmens im kulturellen Bereich, der auf die Aufwertung der lokalen Identität ausgerichtet war. Die kantonale Kulturpolitik war somit von Anfang an als Instrument der "soft power" konzipiert, das sich an die Bevölkerung des Tessins, der anderen Kantone, der Eidgenossenschaft und des benachbarten Italiens richtete.
Der Artikel zeigt, dass sich diese Ausrichtung bis in die Gegenwart fortsetzt. In einem Beitrag in der Wochenzeitung La Domenica vom 4. Februar 2024, der sich auf diese Studie bezieht, kommt Sébastien Peter zu folgendem Schluss: "Unterstützungsinstrumente für Kulturschaffende, die vor allem ausserhalb des institutionellen Sektors angesiedelt sind, sind rar und schlecht strukturiert" und fügt hinzu: "Nachdem das Tessin in den letzten Jahrzehnten ein solides Netz von Kulturinstitutionen aufgebaut hat (...), sollte es, wie die übrige Schweiz, eine grosse neue kulturelle Herausforderung annehmen, um eine klare und strukturierte Unterstützung für die in diesem Gebiet tätigen zeitgenössischen Künstler zu entwickeln". Ein Ratschlag an die Weisen. Hut ab vor Peter, der uns hilft, die Ursprünge der Tessiner Kulturpolitik und die aktuelle Situation besser zu verstehen, ihre Vorzüge, aber vor allem ihre Mängel aufzuzeigen und Lösungen vorzuschlagen.
*Sébastien Peter – ist ein Spezialist für Kulturförderung mit einem bedeutenden beruflichen Hintergrund in verschiedenen Kulturförderungsorganisationen im Tessin und in der Schweiz. Zurzeit ist er Direktor der kulturellen Dienste der Stadt Locarno.
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