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Donnerstag 23.11.23
Von: Corinne Jaquiéry

Im Rahmen von Emergentia in Genf und Les Quarts d'Heure in Lausanne, zwei Plattformen für junge Choreograf:innen aus der Romandie und der Schweiz, haben Nachwuchstalente aus dem zeitgenössischen Tanz die Möglichkeit, ihr Talent zu entfalten, wobei sie trotz des zunehmenden Angebots zuversichtlich in ihre Zukunft blicken. Anne Davier für die ADC, Ronces Donca für L'Abri und Philippe Saire für Sévelin 36 berichten über den Stand der Dinge.

Seit etwa 15 Jahren steht die Bühne des →Theaters Sévelin 36 in Lausanne im Rahmen des Festivals →Les Quarts d'Heure jungen Choreograf:innen zur Verfügung, um ein 15-minütiges Stück oder einen Auszug aus einem Stück zu präsentieren. Das seit 2019 von → L'Abri, dem →Pavillon ADC und dem →Théâtre de l'Usine organisierte Festival →Emergentia entstand aus dem gemeinsamen Willen, das zeitgenössische und aufstrebende choreografische Schaffen zu unterstützen und eine offene Plattform für Neuentdeckungen aufzubauen. Beide fanden im November dieses Jahres 2023 statt.


Bei diesen beiden Veranstaltungen explodieren Ideen und Energien trotz des Risikos, den Beruf in einem «überhitzten» Markt für Tanz und darstellende Kunst auszuüben, wie es die im letzten Sommer erschienene Studie der →Commission romande de diffusion des spectacles (Corodis) behauptete. Die Studie sprach von einem künstlerischen Überangebot, das zu einer Prekarisierung der Künstler:innen führe. In der Studie hiess es unter anderem, dass die Zahl der Arbeitsplätze in der Kategorie «Theater- und Balletttruppen» laut Zahlen des BFS zwischen 2011 und 2019 in der Schweiz um 31% und in der Romandie sogar um 60% gestiegen sei. In der Studie wurde erklärt, dass «diese Attraktivität des Sektors nicht von einer Kombination individueller Berufungen herrührt, sondern von günstigen sozialen Bedingungen».


Anne Davier, Direktorin der ADC, Rares Donca, Direktor von L'Abri, und Philippe Saire, Direktor von Sévelin 36 und Choreograf, kennen die Realität vor Ort gut. Sie sind trotz allem optimistisch, was die Zukunft junger Tanzkünstler:innen in der Schweiz und auf internationaler Ebene betrifft. Lesen Sie darüber im Interview.


Woher kommen die jungen Choreograf:innen, die ihre Werke im L'Abri, im ADC, in der Usine im Rahmen von Emergentia und im Sévelin 36 im Rahmen von Les Quarts d'Heure präsentieren?

Wie wurden sie ausgewählt?


Seltene Donca:

Die meisten von ihnen sind Absolvent:innen der Manufacture, aber auch des Junior Balletts oder der HEAD in Genf. Die Auswahlprozesse sind ganz klassisch: Die Künstler:innen oder Projekte werden entweder im Rahmen von Vorführungen oder im Rahmen von Projektausschreibungen ausgewählt.


Philippe Saire:

Geografisch gesehen werden bei Les Quarts d'Heure vorrangig Anträge aus der Region berücksichtigt. Es gibt eine Ausschreibung mit einer Beschreibung des Projekts, Videolinks zu Proben oder früheren Arbeiten, sofern es solche gibt. Für diese letzte Ausgabe hat das gesamte Team von Sévelin 36 im letzten Frühjahr die Auswahl getroffen. Diese Wahl wird auf der Grundlage der Dossiers und der Kohärenz getroffen, die darin gefunden werden kann, mit der Idee, dass die sechs Vorschläge vielfältig sind und aus verschiedenen Horizonten stammen. Abgesehen davon sind es oft auch unbekannte Projekte, da es viele Erstvorschläge gibt, und das ist eine der Funktionen von Les Quarts d'Heure.


Stimmt es Ihrer Meinung nach, dass es zu viele junge Choreograf:innen gibt, die nach dem Hochschulstudium auf den Markt kommen?


Anne Davier:

Ich glaube, dass sich die «Überhitzung» nicht auf die Ausbildung bezog. In der Studie von Corodis wurde unter anderem empfohlen, das Produktionssystem zu verlangsamen, den bereits geschaffenen Werken mehr Sichtbarkeit zu verleihen und die unsichere Arbeitssituation der Künstler:innen zu bekämpfen. In dieser Studie wurde der Begriff «Überhitzung» verwendet, der im Übrigen alle verärgerte und zu vielen Missverständnissen führte. Ein Tanz- oder Theaterjahrgang an der Manufacture besteht aus etwa 15 Schüler:innen. Das ist eher das Minimum, um eine Klasse zu bilden!


Rares Donca:

Ich teile nicht die Ansicht, dass es eine Überhitzung bei der Ausbildung gibt, ganz gleich, welche Ausbildung es ist. Nicht alle Absolvent:innen werden Choreograf:innen, nicht alle Absolvent:innen von Literaturstudiengängen werden Lehrpersonen etc. Die Professionalisierung der Bühnenberufe war in der Schweiz ein sehr wichtiger Schritt, der sich in einer beispiellosen Dynamik niederschlägt: Die Schweiz, insbesondere die Westschweiz, wird als «Hot Spot» für zeitgenössisches Schaffen identifiziert, es gibt ein erneuertes Publikum, das diese Energie spürt und mitzieht, es ist künstlerisch spannend, es geht hoch her, ausländische Fachleute sind präsent und wachsam.


Philippe Saire:

Letztendlich glaube ich nicht so sehr daran! Es ist ein natürlicher Prozess, wenn man als Tänzer:in vorübergehend arbeitslos ist, dass man versucht, sein eigenes Projekt zu entwickeln. Das war übrigens auch bei mir der Fall. Als ich Les Quarts d'Heure ins Leben gerufen habe, ging es auch um die Idee, sich in einem wohlwollenden, kontextualisierten und zeitlich begrenzten Rahmen an der Choreografie zu versuchen. Nach dieser Erfahrung kann sich das Projekt manchmal weiterentwickeln, manchmal aber auch nicht weitergehen. Ich glaube wirklich, dass diese Art von Plattform auch die Funktion hat, Türen zu öffnen, sich vor einem Publikum auszuprobieren und durch die Erfahrung zu erkennen, dass choreografisches Schaffen vielleicht nicht für jedermann, jedefrau geeignet ist. Das ist nicht die grundlegende Aufgabe, aber es ist ein Mittel, um auch diese «Überhitzung» zu begrenzen, die mir nicht so wichtig zu sein scheint.


Werden diese jungen Choreograf:innen Ihrer Meinung nach alle ihren Platz in der Szene finden?


Rares Donca:

Ich bin zuversichtlich, dass der «Markt» sich selbst regulieren kann, und ausserdem ist nicht alles auf die Schweiz beschränkt, die Diplome der Fachhochschulen haben einen ausgezeichneten Ruf. Noch einmal: Es geht nicht darum, jedem einen Platz zu garantieren, sondern darum, dass jeder seinen richtigen Platz findet. Und für die Institutionen - Theater, Festivals - ist diese Dynamik ein Glücksfall, eine Gelegenheit, sich neu zu erfinden, an neuen Formaten zu arbeiten, sich mit einem neuen Publikum zu verbinden und andere Wege der Zusammenarbeit mit den Künstlern zu weben.


Anne Davier:

Es gibt drei Generationen von Künstler:innen, die an der Arbeit sind. Das führt dazu, dass wir über die verschiedenen möglichen Wege in einer Perspektive der Kontinuität nachdenken. Glücklicherweise lässt sich ein Künstlerleben nicht auf ein Institutionalisierungsprojekt reduzieren! Es ist ein Abenteuer des Alltags, das sich dem Lauf des Lebens und den reifenden Körpern anpasst, sodass der Begriff der Nachhaltigkeit auch auf die Nachhaltigkeit der Interpret:innen zutrifft. Wir versuchen, den Einstieg in die Berufswelt zu begleiten. Wir suchen nach Wegen, wie wir kurz-, mittel- und langfristig gemeinsam den Weg gehen können. Dies geschieht durch Austausch, Experimente, Nachahmung, Risiken, die gemeinsam eingegangen werden müssen. Es gibt Momente der Konfrontation, Frustrationen, Enttäuschungen, Verzweigungen in den Projekten, Lust, gemeinsam etwas zu unternehmen, anderswohin zu gehen, etwas anders zu machen.

Wir, die Programmgestalter:innen und Kurator:innen, übernehmen eine gewisse Struktur in unseren Produktionsmethoden. Wir versuchen, auch Tools zu entwickeln, um Bekanntes zu überwinden, Erwartungen zu verschieben, verschiedene Körper und andere Erzählungen sichtbar zu machen, alternative Leseraster zu verstehen, neue zu formen, die neue Qualitäten in der Arbeit und andere Wahrnehmungsmodalitäten in Gang setzen. Junge Künstler:innen zu begleiten bedeutet unter anderem, ihnen Instrumente und Mittel zur Verfügung zu stellen, die ihre Forschung fördern, sie bei ihren Experimenten zu unterstützen, über ihren Arbeitsrhythmus nachzudenken und ihnen letztlich zu ermöglichen, eine künstlerische Identität zu entwickeln. Es geht also darum, gemeinsam einen fruchtbaren Kontext zu schaffen, der es einigen ermöglicht, sich künstlerisch zu positionieren und sich gleichzeitig zu professionalisieren.


Philippe Saire:

Ich glaube, ich habe bereits in der vorherigen Frage geantwortet. Die Antwort ist natürlich nein, aber es ist Teil eines Prozesses, den ich für natürlich und konstruktiv halte.