TANZEN MIT VERTRAUEN

Donnerstag 16.09.21
Von: Corinne Jaquiéry

Nach den Belästigungsvorwürfen gegen das Béjart Ballet Lausanne (BBL), der Strafuntersuchung gegen den Gründer der Walliser Kompanie Interface und der Verurteilung des Direktors einer grossen zeitgenössischen Tanzkompanie in Genf wegen sexueller Belästigung muss die Tanzwelt wieder Vertrauen fassen.

Seit einigen Monaten wird die Tanzwelt in der Westschweiz von Gerüchten und Fakten über sexuelle Belästigung heimgesucht. Kürzlich wurde der Choreograf einer grossen Genfer Kompanie zu einer fünfmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Er legte Berufung beim Lausanner Gericht ein. Folglich durchläuft die Kompanie momentan sehr dunkle Zeiten, denn obwohl die politischen Behörden und Finanzierungsinstitutionen sie 2021 unterstützten, ist dies, solange der Fall noch nicht abgeschlossen ist, nicht mehr der Fall. Seit #MeToo gehört die Organisationsethik zu den Kriterien, die sowohl von kantonalen als auch von privaten Geldgebern und Gönnern verlangt werden.


Die Omertà ist eine Konstante in stark hierarchischen Umgebungen wie dem Tanz. Der Soziologe Pierre-Emmanuel Sorignet unterstrich dies in einem Interview mit Agathe Seppey, einer Journalistin der Website Watson. Unter dem Titel «Le monde de la danse favorise-t-il le harcèlement sexuel?» analysiert der Artikel die Situationen, die aus dem Ruder laufen können. Der Soziologe, der selbst Tänzer ist, erklärt: «Wir müssen zwischen dem klassischen und dem zeitgenössischen Tanz unterscheiden. Sie sind sehr unterschiedlich.» Der ganze Artikel ist → hier zu finden.


Wie also kämpft man als Choreograf:in oder Regisseur:in gegen den Wunsch nach Macht und/oder gegen die Abhängigkeit, die man als junge:r Tänzer:in hat? Es gibt mehrere Möglichkeiten. Zum Beispiel, indem man sich vom Code of Conduct für Tanzschulen inspirieren lässt, der von Danse Suisse erarbeitet wurde, um einen spezifischen Verhaltenskodex für dir Arbeitsverhältnisse zur Verfügung zu stellen, oder indem man eine Anti-Belästigungs-Charta einführt, wie sie zu Beginn des letzten Jahres im Théâtre l'Arsenic in Lausanne erstellt wurde. Sie betrifft die Mitarbeiter:innen des Theaters, richtet sich aber auch an die Kompanien und Fachleute der darstellenden Künste, die sich zeitweise dort aufhalten. Darüber hinaus arbeitet das Arsenic mit einer externen PCE (Personne de Confiance en Entreprise) zusammen. Das CTP nimmt Führungskräfte und Mitarbeiter:innen auf, die beruflich betroffen sind oder sich als Opfer von Konflikten, Mobbing oder sexueller Belästigung fühlen und dies beantragen. Diese Position gibt es in der Schweiz seit 2012 nach einem Urteil des Bundesgerichts und der Verordnung 3 des Arbeitsgesetzes. Seitdem arbeiten die PCEs in mehreren Unternehmen der französischsprachigen Schweiz.


Pierre-Emmanuel Sorignet bestätigt, dass in einer Tanzkompanie die Grenzen genauso wie in einem Unternehmen von denjenigen festgelegt werden müssen, die Verantwortung tragen. Auch die Tänzer:innen sind hier in der Miterantwortung und müssen sich ihre eigenen Grenzen setzen.