DAS BÉJART BALLET LAUSANNE STELLT SICH DEM STURM
Seit einigen Wochen befindet sich das Béjart Ballet Lausanne (BBL) in Aufruhr. Bei einem ersten Audit der Rudra-Béjart-Schule wurden schwerwiegende Missstände festgestellt, die zur Einstellung des Unterrichts für mindestens ein Jahr führten, weshalb nun ein zweites Audit für das Unternehmen eingeleitet wurde.
Drogen, Beleidigungen, psychischer Missbrauch und sogar sexuelle Belästigung – die BBL steht vor einem bislang nie dagewesenen Sturm. Nach dem im Februar durchgeführten Audit, das zu dem Schluss kam, dass es innerhalb der Rudra-Béjart-Schule schwerwiegende Missstände gab und zum Ausschluss des Regisseurs Michel Gascard und der Regieassistentin Valérie Lacaze führten, wird die Einrichtung für mindestens ein Jahr geschlossen. Zudem wurde der Produktionsleiter der Kompanie, der von mehreren anonymen Zeugen der sexuellen Belästigung beschuldigt wurde, vorübergehend von seinen Aufgaben entbunden. Diese Tatsachen lenkten die Aufmerksamkeit der Gewerkschaft Suisse Romand du Spectacle auf die Aussagen anderer Tänzer*innen. Es kamen mehr oder weniger die gleichen Anschuldigungen ans Tageslicht, die 2008 die Gerüchte um Gil Roman, Maurice Béjarts Nachfolger und Thronfolger, angeheizt hatten.
Die Stiftung Béjart Ballet Lausanne konnte angesichts der Unruhen nicht unbeteiligt bleiben. Sie hat eine Lausanner Firma beauftragt, alle Mitarbeiter*innen zu überprüfen. Auch werden ehemalige Studierende und Mitarbeitende ebenfalls ihre Aussagen machen können. In diesem Zusammenhang wurde die Firma Vicario Consulting in Lausanne mit der Untersuchung beauftragt. Der Vorstand betont, dass das Unternehmen in völliger Unabhängigkeit und in Übereinstimmung mit der Aufgabenstellung des Mandats arbeiten und die Vertraulichkeit sowie Anonymität von Zeugenaussagen uneingeschränkt respektieren wird. Es gilt zudem festzuhalten, dass das Audit mit sofortiger Wirkung in Auftrag gegeben wurde und so schnell wie möglich durchgeführt wird, wobei die Gewährleistung der Qualität der Interviews und der Analyse absolute Priorität hat. Der Bericht wird bis Ende September erwartet.
Wie bereits erwähnt, wird der Umfang der Umfrage alle Mitarbeitende und Studierende der Stiftung umfassen. Darüber hinaus werden die Prüfer*innen zur Verfügung stehen, um Zeugnisse von ehemaligen Mitarbeitenden und Studierenden zu sammeln. Der Inhalt des Audits wurde vom der Gewerkschaft Suisse Romand du Spectacle genehmigt, die in diesem Zusammenhang ebenfalls zur Sprache kommen wird.
Dem Wunsch nach Transparenz folgend hat der Stiftungsrat beschlossen, den im Jahr 2008 von einem unabhängigen Berater erstellten Prüfbericht zu veröffentlichen. Er ist auf der Website der Stiftung verfügbar.
Die von Alexandre Demidoff im Le Temps (18.6.21) zusammengetragenen Worte der Fachjournalistin Ariane Dollfus, die für ihr Buch «Béjart. Le Démiurge», welches 2017 (Arthaud) veröffentlicht wurde, dutzende von Darsteller*innen, Freund*innen und Künstler*innen interviewt hat, die dem Choreografen nahestanden, bestätigen eine zweigleisige Arbeitsweise. «Maurice Béjart war ein grosszügiger Mann, aufmerksam gegenüber seinen Tänzern, verliebt in sie und gleichzeitig locker», sagt sie. «Er überliess es seinen Verwaltern, die Verträge der Tänzer zu kündigen, die er nicht mehr wollte. Er wollte nicht gemein erscheinen, er wollte geliebt werden.» Seine Tänzer*innen schuldeten ihm ihre Treue, so die Journalistin. Sie waren seine Geschöpfe. Was die verbale Gewalt betrifft, die seinem Nachfolger Gil Roman vorgeworfen wurde, so sei sie in diesem Milieu üblich, genauso wie im Sport. «In der Welt des Sports ist es das Gleiche. Bis zur Befreiung der Sprache dank #MeToo hätten sich die Tänzer niemals getraut, über diese psychischen Verletzungen zu sprechen. Diese Kultur der Demütigung manifestiert sich auch auf den Bühnen des zeitgenössischen Tanzes, in den nationalen choreografischen Zentren. Aber die Worte werden ausgesprochen, und was vor zehn Jahren akzeptiert wurde, wird nicht mehr akzeptiert. Kein Künstler ist vor der Rebellion seiner Tänzer sicher. Die jungen Leute lehnen ab, was die Älteren akzeptiert haben.»
Zum letzten Mal Vorhang auf für die Rudra-Schüler
Am 17. Juli schliesst die von Maurice Béjart gegründete Einrichtung mit einer Aufführung von «Études» seine Tore. Die 27 Schüler*innen der Rudra-Béjart-Schule könne ihr Studium in Lausanne nicht fortsetzen, da das Audit vergangenen Februar zum Schluss kam, dass es schwerwiegende Missstände gab, die zum Ausschluss des Direktors führten. Die Studierenden konnten ihr Studienjahr jedoch unter der künstlerischen Leitung ad interim von Julia Arozarena, Ballettmeister am BBL, abschliessen. Als krönender Abschluss werden sie in Martigny am 17. Juli im Rahmen des Sommerfestivals das Stück «Études» im römischen Amphitheater aufführen. Davor treten sie im antiken Theater von Vaison-la-Romaine im Rahmen des Festivals Vaison Danse 21 auf. Letzteres ist ein Auftritt, der bereits im letzten Jahr geplant war, wegen der Pandemie jedoch abgesagt werden musste.
«Études» vereint klassischen Tanz mit modernem Tanz, Gesang, Vocal Placement, Percussion und Kendo zu einer einzigartigen Kreation. «Ich möchte zeigen, was die Studierenden studieren und dabei die verschiedenen Facetten ihrer Arbeit präsentieren», erklärt Julio Arozarena, der auch Auszüge aus dem Repertoire von Maurice Béjart in das Programm aufgenommen hat. «Ich denke, es ist wichtig, dass sie Zugang zum Erbe des Meisters haben und es sich zu eigen machen. Es ist ein hervorragendes Studienmaterial, sowohl für die Form, die Komposition, die Musik und die Theatralität.»
→ Hier geht es zum vollständigen Revisionsbericht 2008.